Interview: Neuer Kontext, neues Leben

Der Jäger und Sammler Lons

Altmann-Schmitt: Herzlich willkommen zu unserer Ausstellung LONS · Little Massai. Sie kennen LONS bereits aus früheren Ausstellungen als Maler. Heute zeigt der Künstler zum ersten Mal seine neuen Skulpturen. Auch wenn er von der Fläche in den Raum gewechselt ist, bleibt er seinem Thema treu. Seine Figuren und Objekte bestehen ausschließlich aus Fundstücken, die er in der Natur findet oder auf Flohmärkten, in Scheunen oder bei anderen Gelegenheiten „erjagt“. Auch wenn der Zufall eine gewisse Rolle spielt sind seine Arbeiten doch bis ins Detail konzeptionell durchdacht.


LONS, Du hast die Technik geändert, bist aber Deinen Themen treu geblieben. Was fasziniert Dich an der sogenannten primitiven Kunst?

Picasso hat irgendwann mal die berühmte Höhle von Lascaux im Süden von Frankreich besucht und war sehr beeindruckt von der Kunst der Cro-Magnon-Menschen aus der Altsteinzeit. Er sagte damals: „Wir haben nichts dazu gelernt.“ Auch ich bin fasziniert, was Menschen bereits vor 20 oder 30.000 Jahren an „Kunstwerken“ hinterlassen haben, auch wenn das für sie keine Kunst war, wie wir sie heute verstehen, sondern eher schamanischen Ritualen diente. Leider haben sich nur wenige Spuren erhalten, die in geschützten Höhlen über die Jahrtausende perfekt konserviert wurden und nur deshalb erhalten blieben. Das Meiste ist unwiederbringlich verloren. Ich bin sicher, die Bedeutung ihrer „Kunst“ wäre sonst noch viel bedeutender.

Du verwendest ausschließlich Materialien, die man gemein hin wohl eher als Schrott oder Abfall bezeichnen würde. Was fasziniert dich an diesem Material?

Ich bin Jäger und Sammler und hatte schon immer eine starke Affinität zu Dingen, die man in der Natur findet – Steine, Muscheln, Hölzer, Blätter etc. Jeder kennt wahrscheinlich das Gefühl, wenn er am Meer eine tolle Muschel findet. Diese von der Natur geformten Dinge sind oft wunderschöne „Kunstwerke“, die man nicht verbessern kann – höchstens neu arrangieren. Wenn ich mit meinem Hund spazieren gehe, habe ich immer eine große Tüte dabei. Man weiss nie, was man entdeckt.

Aber die Bestandteile Deiner Skulpturen sind ja eigentlich keine reinen Naturprodukte, oder?

Das stimmt. Ich verwende nur Dinge, die von Menschen geformt, bearbeitet und genutzt wurden. Irgendwann wurden sie wertlos in einer alten Scheune deponiert oder weggeworfen. Dieses Stück Holz habe ich am Altrhein gefunden. Wahrscheinlich stammt es von einem Fischerkahn, denn man sieht noch Reste von Teer, der früher zur Abdichtung verwendet wurde. Das Leder ist ein Teil einer alten Kinderlederhose. Die war völlig zerschlissen und kaputt, aber für meine Zwecke ideal. Ich habe sie in Frankreich auf einem Flohmarkt entdeckt und für einen Euro gekauft. Die Verkäuferin fragte mich noch, ob ich die etwa für meine Kinder haben wollte. Ich konnte sie beruhigen.

Du verwendest also alte, gebrauchte Teile und hauchst ihnen neues Leben ein?

Genau. Jedes Produkt und jedes Lebewesen hat einen Lebenszyklus. Bei vielen Dingen, die wir heute im Gebrauch haben, wie Handys oder Computer, beträgt dieser Lebenszyklus oft nur wenige Jahre oder sogar Monate. Dann sind sie nichts mehr wert und landen im Müll. Diese alte Gartenharke dagegen wurde von Hand geschmiedet. Sie ist sicher über 100 Jahre alt und hat wahrscheinlich die letzten 30 Jahre in irgendeiner Scheune rumgelegen. Vergammelt, verrostet – aber keineswegs wertlos. Jetzt ist sie ein Teil meiner Skulptur und hat damit ihren Wert zurückbekommen – sogar einen viel höheren als früher.

Willst Du uns damit sagen: Werft nicht leichtfertig alles weg, sondern hebt die Dinge auf? Ist das Kritik an unserer Wegwerfgesellschaft?

Ja und nein. Wir können nicht alles aufheben. Und Vieles ist auch nicht wert, dass man es aufhebt. Handys und andere industrielle Massenprodukte sollte man nicht aufheben, sondern recyceln. Es gibt aber Dinge, die einen Wert haben und ihn auch nach vielen Jahren nicht verlieren.
Das Problem ist doch: Wir produzieren immer neue Waren und holen dafür die letzten Ölreste aus dem Boden oder verbrennen uralte Regenwälder um billige Anbauflächen zu bekommen, die nach wenigen Jahren schon keinen Ertrag mehr bringen. Wir glauben, dass es billiger ist, neue Rohstoffe zu gewinnen, als die alten zu recyceln. Für uns stimmt das sogar, aber die Menschen in Afrika oder Indien zahlen einen sehr hohen Preis dafür.

Du willst mit Deinen Arbeiten also eine politische Botschaft verbreiten?

Ich bin kein Missionar. Jeder kann selbst entscheiden, ob und warum ihm meine Arbeiten gefallen. Er kann die Skulpturen auch einfach schön finden. Vielleicht gelingt es mir aber den Blick etwas zu schärfen für den wirklichen Wert von Dingen. Bis diese alte Harke fertig geschmiedet war, hat ein Schmied mehrere Stunden gearbeitet. Diese Arbeit steckt in dem alten Ding und bleibt auch drin. Ob mein iPhone jemals so wertvoll wird, bleibt abzuwarten.

Warum nennst Du die Skulpturen „Little Massai“?

Meine Figuren sind klein, hoch und schlank und hoffentlich schön. So wie die Massai, eine Volksgruppe, die im Süden Kenias und in Tansania beheimatet ist. Die Massai leben bis heute als Nomaden. Ein stolzes, aber primitives Volk mit sehr archaischen Ritualen. So bin ich auf den Namen gekommen. Die Namen der Skulpturen stammen allerdings aus verschiedenen afrikanischen Sprachen. Die Bedeutung und die Sprache können Sie auf den Schildern am Sockel nachlesen.

Vielen Dank, dass Du uns einen kleinen Einblick in Deine Arbeit gegeben hast. Und nun wünschen wir unseren Besuchern viel Spaß beim Besuch der Ausstellung.